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Olympia 2022: Spiel mit dem Feuer – wer braucht noch solche Spiele? [Gastbeitrag]

Autor Nick Golüke über Gier, Macht und politisches Posieren bei den Olympischen Winterspielen in Peking 2022.
Lesezeit: 7 Minuten
Foto: THOMAS PETER/REUTERS/picturedesk.com | Dieser Beitrag ist ursprünglich in der 33. Ausgabe des Sport Business Magazin (04-2021) erschienen.

Am 4. Februar 2022 beginnen die Olympischen Winterspiele in Peking. Und das, obwohl vorab eigentlich alles gegen Peking gesprochen hat: Weder ist Peking eine Wintersportregion – man hat hier keine Berge und auch keinen Schnee, noch werden in China die Menschenrechte geachtet. Trotzdem bekam Peking den Zuschlag vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und das Regime damit die Gelegenheit, den Sport für seine Zwecke zu missbrauchen. Die Olympische Idee und deren Werte werden damit erneut mit Füßen getreten und entwertet. Aber muss sich nicht auch der Sport endlich seiner politischen Verantwortung bewusst werden? Denn der Einfluss von Sportlern und Vereinen auf die Gesellschaft ist zu groß, die mediale Aufmerksamkeit zu gewaltig.

»Ohne Olympische Spiele bräche eine tragende Säule der Sportfinanzierung weg. Wer also kann es sich leisten, für seine Werte einzustehen und Olympia zu boykottieren?«

Das Internationale Olympische Komitee ergänzte sein altes olympisches Motto »citius, altius, fortius« – schneller, höher, weiter – um das Adjektiv »communis« – gemeinsam. Doch echte Solidarität erfordert eine Haltung, die man mit Leben füllen muss. Da ist das IOC in der Bringschuld. Wofür steht Olympia noch? Welche Wirkung – auch für den Breitensport – haben Olympische Spiele noch? Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn den Kindern die Vorbilder genommen werden, die früher eben auch durch mediale Großereignisse geschaffen wurden? Bereits vor der Coronakrise haben sich laut des 4. Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts rund 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend bewegt. Welches Olympia brauchen wir, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern? Wird eine neue Olympische Idee, eine neue Charta benötigt – und eine neue Institution? Und stellt sich nicht längst die Grundsatzfrage: Brauchen wir Olympia, diese zerbeulte Krone des Hochleistungssports, eigentlich noch? In diesen Zeiten der zerbröselnden Gewissheiten stehen viele alte Gewohnheiten in Frage. Die Spiele auch. Die Gier nach Geld, Macht und politischem Posieren, dazu das notorische Doping haben ihren Wert verschwimmen lassen. Abschaffen, verlangen die Überdrüssigen. Aber es ist nicht die Grundlage der Olympischen Spiele, es ist ihr Missbrauch, der das Ziel der Kritik bleiben muss.
SPIEL MIT DEM FEUER So heißt das aktuelle Projekt von Nick Golüke, der den ehemaligen Skistar Felix Neureuther auf der Suche nach Lösungsansätzen für ein anderes, neues Olympia begleitet. | © NGLOW

Olympia findet nur alle vier Jahre statt. Das macht den großen Wert eines Olympiasieges aus. Für die Sportler sind die Spiele immer noch ein Sehnsuchtsort. Und gleich zeitig sind die Sportler finanziell davon abhängig, denn Sponsorenverträge sind oft eng an die Großereignisse und ganz besonders an die Olympischen Spiele gekoppelt. Nur wer hier vorne dabei ist, kann sein sportliches Wirken veredeln. Das gilt vor allem für die weniger populären Sportarten. Eine Absage hätte einen Dominoeffekt zur Folge, da das IOC einen großen Teil der üppigen Einnahmen an die nationalen Verbände weitergibt. Ohne Olympische Spiele bräche eine tragende Säule der Sportfinanzierung weg. Wer also kann es sich leisten, für seine Werte einzustehen und Olympia zu boykottieren?

Auf politischer Ebene wird die Boykott-Diskussion heiß debattiert. Weltweit haben sich 180 Menschenrechtsgruppen und Aktionsforen zusammengetan: Sie fordern einen internationalen Boykott der Winterspiele. Die Kritik am Umgang Chinas mit den Uiguren in Xinjiang, mit Tibetern und die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong findet in der Olympia-Frage einen willkommenen Verstärker. Die Vergabe der Spiele nach China sei ein schwerer Fehler gewesen, sagen internationale Menschenrechtsgruppen. Sie werfen dem IOC vor, sich beim Thema Menschenrechte nicht an die eigenen Vergaberegeln zu halten. Das IOC eigene Nachhaltigkeitskonzept, indem es etwa um Frauen- und Arbeitsrechte geht, wird mit der Vergabe der Spiele an China ad absurdum geführt, so die Kritik von Menschrechtsorganisationen. So verbiete die Olympia-Charta des IOC ausdrücklich Einflussnahme der Politik auf die nationalen Olympia-Komitees. Chinas Nationales Olympisches Komitee besteht jedoch fast vollständig aus Funktionären und Kadern der Kommunistischen Partei.

»Wofür steht Olympia noch? Welche Wirkung – auch für den Breitensport – haben Olympische Spiele noch?«

All das hören vor allem diejenigen nicht gerne, die den Laden am Laufen halten: die Sponsoren. Olympia ist längst ein Milliardengeschäft, die fünf Ringe eine Marke geworden. Dazu kommt: Für die Sponsoren ist das Image Olympia das Wichtigste, was sie kaufen können. Aber genau dieses Image ist längst angekratzt, seit man die Spiele nach Russland, Brasilien oder eben China vergeben hat. Die Spiele von Peking könnten das Fass zum Überlaufen bringen und auch das aufgesetzte ökologische und nachhaltige Konzept des IOC entlarven. »Ökologische« Spiele hat China in seiner Bewerbung versprochen, die Wahrheit ist: Die Gegend um Peking ist eine der trockensten der Erde, es herrscht katastrophale Wasserknappheit. In Peking liegt mehr Smog als Schnee in der Luft. Olympia ist dennoch eine Idee, die nicht untergehen darf. Von Tausenden Sportlern aus aller Welt, die sich in Frieden zum Wettkampf treffen, gemeinsam Regeln akzeptieren und der Welt zeigen, dass alle Menschen einen gemeinsamen Nenner finden können. Von dieser Vorstellung leben die Spiele. Aber in ihrer jetzigen Form auch von ihren Einnahmen. Ohne das viele Geld auf dem Konto wäre Olympia jetzt wehrlos. Auch so werden die Spiele – genau wie der Rest der Welt – die Folgen der Pandemie noch lange spüren.

Doch es lohnt sich zu kämpfen. Mit den Olympischen Spielen verlöre die Welt nicht nur einen unterhaltsamen Zirkus, sondern auch einen großen Traum. Die menschlichen Abgründe, die der Verteilungskampf überall freilegt, bestehen auch ohne Olympia weiter. Das olympische Sportsystem ist nicht in der Lage, die Probleme der Welt zu lösen. Der olympische Sport ist mehr als Bewegung, Gesundheit und Unterhaltung. Er ist weniger als der »Ernstfall«, das Leben selbst. Sport ist spielerisches Üben, ist Vorbereitung auf das Leben – »Learn in sport, in order to perform in life.«

Es geht somit um den Sport, bei dem es nicht um alles oder nichts geht, sondern darum, leistungsbereit sein persönlich Bestes zu geben, sich mit andern zu messen und sich stets neue Ziele zu setzen. Der Sport, der uns lehrt, mit Erfolgen und Rückschlägen souverän umzugehen und Regeln ebenso zu achten wie seine Gegner und die Natur. Der Sport, der alle Sprachen spricht. Dieser Sport tut den Menschen und der Gesellschaft gut, weil man seinen spielerisch erlebten Spirit ins Leben weitertragen kann. Auch auf die Persönlichkeitsbildung, die soziale Kompetenz und den Kinder-, Jugend- und Amateursport.

Der Sport hat es in seiner Hand, zu echtem gesellschaftlichem Fortschritt beizutragen, trotz Auswüchsen und Skandalen, Krisen und Abwegen oder gerade deshalb. Dazu braucht es alle – »citius, altius, fortius, communis« – »schneller, höher, stärker – gemeinsam«.

Nick Golüke

48 Jahre alt, ist Produzent, Autor, Regisseur. Seine Produktionsfirma NGLOW FILM mit Sitz in München und Brixen im Thale/Tirol produziert weltweit Dokumentationen und Reportagen in den Bereichen Sport, Politik, Wissenschaft, Kultur, Zeitgeschichte und Gesellschaft für die ARD, das ZDF, Arte und ServusTV.

Information erleben – dafür steht NGLOW auch im Bereich der Videoproduktion für die Unternehmenskommunikation. NGLOW produziert Imagefilme, Werbespots, Social-Media-Content, Content für die Live-Kommunikation, Corporate TV, Schulungs- und Erklärfilme.

Bei seinem aktuellen Projekt, der Dokumentation »Spiel mit dem Feuer« (Ausstrahlung in der ARD im Januar 2022), begleitet Nick Golüke den ehemaligen Skistar Felix Neureuther. Auf der Suche nach Lösungsansätzen für ein anderes, neues Olympia, trifft Neureuther dabei Menschenrechtler:innen, Wissenschaftler:innen und Visionär:innen, die Kritik am bestehenden System »Olympia« üben aber auch kreative, neue Ideen für nachhaltige und faire Spiele entwickeln.

www.nglow.film

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