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Mentaltraining im Fußball: There is no glory in prevention

Dieser Spruch ist nicht nur in der Gesundheitsvorsorge, sondern auch im Spitzensport relevant. In einer Sportwelt, die sich zunehmend schneller dreht und in der alles komplexer wird, sind neben technischen und taktischen Kompetenzen vor allem mentale Fertigkeiten gefragt. Dazu braucht es präventive Maßnahmen in der Team- und Spielerentwicklung. Ein Gastbeitrag von Mentalcoach Wolfgang Seidl.
Lesezeit: 4 Minuten
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der 31. Ausgabe des Sport Business Magazin (02-2021) erschienen.

In unsicheren und herausfordernden Situationen können sich nur die wenigsten auf veränderte Bedingungen einstellen. Aus Angst klammern sich die meisten an vertraute Denk- und Verhaltensmuster. Und genau hier liegt die Problematik, denn diese Art zu denken, führt zu keiner Lösung.

Aus der Neurowissenschaft wissen wir, unser Gehirn ist aufs »Überleben« programmiert. Unter Stress kommt es zu einer neuronalen Übererregung, Gehirnregionen, die aufs Überleben ausgerichtet sind, übernehmen das Kommando und wir rutschen zurück in die archaischen Denk- und Verhaltensmuster. Die Wahrnehmung verengt sich und erzeugt ein Gefühl von Ausgeliefert sein. In diesem Modus nimmt die Fähigkeit, eine Situation angemessen zu bewerten und darauf zu reagieren, ab. Das wiederrum wirkt sich negativ auf das soziale Miteinander, sowie auf die Konzentration, Kreativität und Leistungsfähigkeit aus.

Erfreulicherweise haben wir Menschen die Möglichkeit, dem entgegenzuwirken. Vielfach können wir nicht kontrollieren was passiert, aber wir können kontrollieren, wie wir darüber denken. Dabei spielt das Bewusstsein eine große Rolle. Unser Denken und Handeln können wir nur verändern, wenn wir die Bewusstheit haben. Und diese Bewusstheit lässt sich trainieren. Dazu ein praktisches Beispiel aus Sicht zweier Fußballer, die 20 Minuten vor Schluss, als überlegenes Team, durch eine erneute Fehlentscheidung des Schiedsrichters den Treffer zum 0:2 erhalten. Sehen wir uns an, welche Auswirkungen ihr denken auf ihr Verhalten hat:

 

»Mental schwacher« Spieler

»Mental starker« Spieler

SelbstgesprächeDas gibt es nicht. Das kann nicht sein. Warum passiert uns das. Das gewinnen wir nicht mehr.…Abhaken und volle Konzentration! Das können wir noch gewinnen!
GefühleWut und ÄrgerEntschlossenheit
Körperliche AuswirkungenNegative Körpersprache und unkonzentriertSelbstbewusste Körpersprache und konzentriert
VerhaltenVerschwendet viel Zeit mit Schiedsrichter Diskussionen. Fehlende Entschlossenheit. Ist nicht mehr bereit den entscheidenden Sprint zu machen.Fokus auf seine Aufgaben. 100 Prozent Einsatz in jedem Zweikampf. Positive Kommunikation mit den Mitspielern.
SERGIO AGÜERO UND PEP GUARDIOLA Ein mental starker Spieler schafft es, in herausfordernden Situationen seine inneren Gespräche zielgerichtet zu führen und somit seine Leistung bewusst zu steuern. | © Nicolo Campo

Der »mental schwache« Spieler hat in dieser herausfordernden Gegebenheit noch nicht die Bewusstheit erlangt, mit dieser schwierigen Situation umzugehen und sein Denken so zu steuern, dass er die Situation als Chance anstatt als Bedrohung sieht. Er geht in die typische Opferhaltung. In dieser Stresssituation bleibt er in seinem alten Denkmuster hängen, was schlussendlich in einem negativen Verhalten endet.

Der »mental starke« Spieler hingegen hat durch präventive, mentale Trainingsmaßnahmen an seiner Bewusstheit gearbeitet. So schafft er es, auch in dieser herausfordernden Situation seine inneren Gespräche förderlich und zielgerichtet zu führen und somit seine Leistung bewusst zu steuern. Der »mental starke« Spieler hat adäquate Selbstgespräche entwickelt…

1.) um proaktiv, also vorbereitet, in herausfordernde Situationen zu gehen und nicht von unangenehmen Situationen überrascht zu werden, und

2.) um reaktiv mit entsprechenden vorbereiteten Selbstgesprächen auf negative Gedanken agieren zu können.

Welche Auswirkungen diese konstruktive Denkweise einzelner Spieler auf die gesamte Mannschaftsleistung hat, können wir erahnen.

Spitzensport kann hier viel aus der Luftfahrt lernen. Airlines haben hohe Sicherheitsstandards und investieren viel Zeit und Geld ins präventive Training ihrer Mitarbeiter. So bereiten sich zum Beispiel Piloten regelmäßig im Flugsimulator auf alle möglichen Szenarien vor, um im Ernstfall die richtigen Entscheidungen zu treffen. So können sie in Stresssituationen durch ihre antrainierte Bewusstheit klar und zielgerichtet agieren.

Im Vergleich dazu, investieren nur wenige Teams im Sport, proaktiv in die mentale Stärke ihrer Spieler. Viele haben den Mehrwert und die langfristigen Auswirkungen noch immer nicht erkannt. Vielfach lässt sich mentale Stärke der Spieler nicht direkt in Zahlen ausdrücken. Aber wenn wir uns das erwähnte Beispiel mit den zwei Fußballern vor Augen führen, erkennen wir, dass ein Team mit mental starken Spielern langfristig erfolgreicher sowie weniger oft in Abstiegskämpfe verwickelt ist und somit zu einem nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg beiträgt.

Meine bisherige Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich als Coach und Teamentwickler, meist erst dann beauftragt werde, wenn Teams bereits in Krisen stecken. Mein persönlicher Ansatz ist proaktiv, das heißt: Teams und ihre Akteure präventiv auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten und zu stärken. Mein Credo: »There is glory in prevention.«

Wolfgang Seidl

Mentalcoach

In seiner Arbeit als Mentalcoach betreut Wolfgang Seidl neben Unternehmen und Führungskräften vor allem Sportler im Einzelcoaching. Dazu zählen zum Beispiel der mehrfache IRONMAN-Sieger Michael Weiss, die Boxweltmeisterin Eva Voraberger sowie Fußballer aus der Bundesliga. Zusätzlich berät er auch Mannschaften in Form von Workshops und Coachings.

www.mana4you.at

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